Nahrung und Psyche

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Über die Unzulänglichkeit der gegenwärtigen Verhaltenspsychologie

Warum der Wirkung der Nahrung auf die Psyche mehr Beachtung geschenkt werden sollte

Von Johannes Peter, © 2003


Einleitung

Guy-Claude Burger, ehemaliger theoretischer Physiker, begann 1964 eine Ernährungsforschung, bei der die genetische Veranlagung des menschlichen Nahrungsinstinktes eine zentrale Rolle spielt. Demnach sei der moderne Homo sapiens noch an die ursprüngliche Ernährung der Primaten angepaßt. Ein umstrittenes Konzept, das nichtsdestotrotz in den letzten 40 Forschungsjahren solide Bestätigungen fand.

Schon nach einigen Jahren der Untersuchung, in denen Burger das Funktionieren und die Bedingungen des menschlichen Nahrungsinstinktes studierte, fiel ihm der Einfluß der Ernährung auf das Nervensystem auf. Ein Zusammenhang, der bis dahin nur bei Drogen oder sogenannten Muntermachern bekannt war, stellte sich auch bei alltäglichen Nahrungsmitteln wie zum Beispiel Weizenprodukten oder Milchderivaten heraus. Mehrere Forschungszweige bestätigten die Befürchtung Burgers: Die verschiedensten vom Nervensystem abhängigen Verhaltensfunktionen - Aggressivität, Sexualität, Sozialverhalten, usw. - werden entscheidend durch die Wirkung sogenannter Exorphine (das Nervensystem anormal erregende Moleküle) in der täglichen Ernährung beeinflußt.

Der heutige Mensch sei so nicht mehr er selbst, bzw. was er sein sollte. Vielmehr befände er sich in einem latenten Erregungszustand, der sein Verhalten stark beeinflußt und gravierende Auswirkungen auf den komplexen Apparat zwischenmenschlicher Beziehungen hat.

Mit den psychotropen Auswirkungen des täglichen Brots wurde ich zum ersten Mal konfrontiert, als ich circa fünfzig wilde Feldmäuse mit spezifisch menschlichen Nahrungsmitteln fütterte. Jedes Mal, wenn ich ein Stück Brot in einem Käfig mit zwei Männchen liegen ließ, passierte das selbe: am nächsten Tag fand ich nur noch eineinhalb Mäuse in dem Käfig. Die übererregten Rivalen hatten sich bis auf's Blut bekämpft und der Sieger den Besiegten bis zur Hälfte verspeist. […] Offensichtlich waren im Weizen Moleküle vorhanden, die Einfluß auf die Psyche des Menschen und des Tieres haben.(1)

Moleküle haben Einfluß auf unser Verhalten

Durch die Erkenntnisse der Neuropsychologie weiß man heute mit ziemlicher Sicherheit, daß Moleküle, die sich im Blut befinden, die Gehirnschranke durchdringen und unsere Stimmung grundlegend beeinflussen können. Unsere Emotionen stehen in direktem Zusammenhang mit Neurotransmittern. Sie können verändert werden durch Moleküle wie Dopamin, Serotonin, Morphium, usw.

Bewußtseinsverändernde Drogen sind chemische Substanzen, die innere Prozesse und äußeres Verhalten beeinflussen, indem sie die Wahrnehmung der Realität für eine Weile verändern. Sie wirken dadurch, daß sie Aktivitäten der Neurotransmitter an den Synapsen verstärken, blockieren oder verlängern.(2)

Viele Drogen beeinflussen Verhalten, Stimmung und Denken dadurch, daß sie die Übermittlungsvorgänge an den Synapsen beeinflussen.(3)

Zwar umgibt eine semipermeable Membran, als Blut-Hirn-Schranke bezeichnet, die Blutgefäße im Zentralen Nervensystem und schützt das Gehirn im allgemeinen vor gefährlichen Substanzen. Dennoch können viele bewußtseinsverändernde Drogen durch diese Membran ins Gehirn gelangen. […] Sind Drogen erst einmal im Gehirn, verändern sie dessen Kommunikationssystem grundlegend und wirken sich auf Wahrnehmung, Gedächtnis, Stimmung und Verhalten aus. […] Was als simple chemische Aktivität an den Synapsen anfängt, kann schließlich enorme persönliche und soziale Konsequenzen haben.(4)

In dieser Arbeit geht es darum, auf welche Weise Moleküle, die wir täglich mit unserer Nahrung aufnehmen, sich auf unsere Psyche und damit auf unser Verhalten auswirken.

Drogenähnliche Substanzen in alltäglichen Nahrungsmitteln

Durch jüngste Forschungen in der Nahrungsmittelpharmakologie sind die Grundnahrungsmittel Getreide und Milch unter den Verdacht geraten, Wirkungen auf den Körper zu haben, die vergleichbar mit denen von Morphium und Enkephalin sind, Substanzen also, die man zu den Drogen zählt.

Forschergruppen unter Zioudrou und Brantl fanden sowohl opiatähnliche Aktivität bei Weizen, Mais und Gerste (Exorphine)(5), sowie bei Kuh- und Muttermilch (Kasomorphin), als auch stimulierende Aktivität bei diesen Proteinen und bei Hafer, Roggen und Soja. […] Seitdem haben Forscher die Wirksamkeit von Exorphinen gemessen und nachgewiesen, daß sie mit Morphium und Enkephalin vergleichbar sind, haben ihre Aminosäuresequenzen bestimmt und nachgewiesen, daß sie vom Darm aufgenommen werden und fähig sind, Wirkungen wie Analgesie (Schmerzstillung) und Angstreduktion hervorzurufen, die normalerweise bei vom Mohn abgeleiteten opiatähnlichen Substanzen auftreten.(6)

Da der Konsum der betreffenden Nahrungsmittel beim Menschen seit dem Kleinkindalter tagtäglich stattfindet, kann man hier von einer permanenten Beeinflussung sprechen.
Dazu muß gesagt werden, daß diese beiden Nahrungsmittel erst seit dem Auftauchen der Landwirtschaft eine bedeutende Rolle in der Ernährung des Menschen spielten, so daß das Argument, der Mensch habe von jeher diese Nahrungsmittel verzehrt, von vornherein entkräftet wird.

Obwohl es bezüglich der Ernährungsweise der Menschen vor der Entwicklung der Landwirtschaft Kontroversen gibt, enthielt die Nahrungspalette sicherlich nicht Getreide und Milch in größeren Mengen. […] Milchprodukte waren vor der Zähmung von Tieren nicht in großen Mengen erhältlich.(7)

Was also passiert, wenn der Mensch die für ihn relativ neuen Nahrungsmittel Getreide oder Milch verzehrt?

Wenn ein durchschnittlicher Mensch Getreide und Milch in für heutige Verhältnisse normalen Mengen verzehrt, werden Belohnungszentren im Gehirn aktiviert. Nahrungsmittel, welche vor der Einführung der Landwirtschaft zur alltäglichen Ernährung gehörten (Früchte usw.), besitzen diese pharmakologische Eigenschaft nicht. Die Wirkungen von Exorphinen sind qualitativ die selben, wie sie bei anderen opiatähnlichen und/oder dopaminergen Drogen auftreten, also Belohnung, Motivation, Angstreduktion, ein Gefühl des Wohlbehagens und vielleicht sogar Sucht. Obwohl die Wirkung einer typischen Mahlzeit quantitativ geringer ist, als die einer Dosis der genannten Drogen, erleben die meisten heutigen Erwachsenen diese Wirkung mehrmals am Tag und das an jedem Tag ihres Lebens.(8)

Die meisten gebräuchlichen, abhängig machenden Drogen sind entweder opiatähnlich (z.B. Heroin und Morphium) oder dopaminerg (z.B. Kokain und Amphetamin) und wirken durch die Aktivierung von Belohnungszentren im Gehirn. Folglich sollten wir fragen, ob diese Befunde bedeuten, daß Getreide und Milch auf chemische Weise belohnend wirken. Sind Menschen in irgendeiner Weise „süchtig“ nach diesen Lebensmitteln?(9)

Brostoff und Gamlin schätzten, daß 50% der Patienten mit Intoleranz ein starkes Verlangen nach den Nahrungsmitteln haben, welche ihnen Probleme bereiten, sowie Entzugserscheinungen haben, wenn diese Nahrungsmittel aus ihrer Diät ausgeschlossen werden. Die Entzugserscheinungen sind vergleichbar mit denen, die man bei Drogenabhängigkeit kennt.(10)

Für viele Leute scheint heutzutage nicht ohne Grund eine Ernährung ohne Brot und andere Getreideprodukte schwer vorstellbar zu sein. Im Gegenteil, Getreide ist zum Grundnahrungsmittel avanciert und wird in hohen Mengen sogar empfohlen.

Es ist ausgeschlossen, daß das Verlangen nach diesen Nahrungsmitteln irgend etwas mit der populären Vorstellung zu tun hat, der Körper teile dem Gehirn mit, was er für seine Ernährung brauche. Diese Nahrungsmittel waren vor der Einführung der Landwirtschaft in der Nahrungspalette des Menschen ohne Bedeutung, und große Mengen davon können für die Ernährung nicht notwendig sein. […] Forschungen über Nahrungsmittelintoleranz lassen vermuten, daß Getreide und Milch bei normalen Verzehrsmengen imstande sind, das Verhalten vieler Menschen zu beeinflussen. Und wenn eine erhöhte Aufnahme von Peptiden schwerwiegende Wirkungen auf das Verhalten schizophrener und an Zöliakie erkrankter Personen verursachen kann, könnten subtilere Wirkungen, die nicht einmal als anormal angesehen werden, allgemein bei Menschen auftreten.(11)

Es scheint also, daß die permanente Zufuhr von Getreide und Milch das Verhalten und die Parameter der Emotionen des Menschen auf subtile Weise grundlegend verzerrt.

Durch die oben aufgeführten Erkenntnisse wird eine entscheidende Frage berührt:
Da der Mensch die oben genannten Nahrungsmittel vom Kleinkindalter an täglich konsumiert, und der Konsum dieser betreffenden Nahrungsmitteln anscheinend das Verhalten beeinflußt, muß man zu dem Schluß kommen, daß man nicht wissen kann, wie das Verhalten des Menschen wäre, ohne den Einfluß der in diesen Lebensmitteln enthaltenen Exorphine.

Erhitzte Nahrung beeinflußt das Verhalten bei Tieren

Des weiteren besteht der Verdacht, daß auch erhitzte Nahrungsmittel und die in ihnen durch den Garprozeß entstandenen neuen chemischen Arten (NCA)(12) einen störenden Einfluß auf die Psyche haben.

Durch die Erkenntnisse der Biochemie ist bekannt, daß Proteine und Enzyme ab einer Temperatur von ca. 42 °C „denaturieren“, d. h. ihre ursprüngliche Form durch den Einfluß der Wärme (Energie) verändern.(13) Es ist sehr zweifelhaft, ob diese neuen chemischen Arten, welche durch die Nahrungsaufnahme in den Körper gelangen, von diesem problemlos metabolisiert werden, da die vom Körper für die Verdauung bereitgestellten Enzyme substratspezifisch sind und bei minimalen molekularen Veränderungen der Substrate (Nahrungsbestandteile) diese nicht mehr zerlegen können. Es besteht der dringende Verdacht, daß diese nicht abgebauten Moleküle im Körper akkumulieren und u. a. das Nervensystem stören.

Auf diesen Zusammenhang stieß das erste Mal der amerikanische Forscher Francis M. Pottenger. Bei seinen Versuchen, in denen die Zusammenhänge zwischen Ernährungsweise und Körperbau bei Katzen über mehrere Generationen festgestellt werden sollten, fiel auf, daß auch Verhaltensänderungen auftraten.
In den Versuchen wurden zwei Katzengruppen mit Fleisch, Rohmilch und Lebertran gefüttert, wobei die eine Gruppe rohes Fleisch samt den Organen bekam und die andere Gruppe gekochtes, also erhitztes Fleisch.

Viele Katzenjunge, die mit dem gekochten Fleisch gefüttert wurden, zeigten Verhaltensänderungen. Weibchen wurden gereizt und aggressiv, währenddessen Männchen oft fügsam und unaggressiv mit wenig Interesse an Weibchen, aber großem Interesse an anderen Männchen wurden (was niemals unter roh gefütterten Männchen beobachtet wurde). Auch wurden abnormale sexuelle Verhaltensweisen unter den gekocht gefütterten Männchen beobachtet.(14)

Zu späterer Zeit wurde der Schweizer Physiker Guy-Claude Burger auf diesen Zusammenhang aufmerksam:

Parallel dazu war es zunächst beim Tier möglich zu zeigen, daß es einen direkten Zusammenhang zwischen der Aufnahme nichtnatürlicher Nahrungsmittel und bestimmten Störungen des Verhaltens gibt, besonders eine deutliche Zunahme der Aggressivität und der sexuellen Erregung.(15)

Wenn man z.B. Hühnern eine an gekochtem Getreide reiche Nahrung gibt, so kann man bei ihnen eine Veränderung des Sexualverhaltens beobachten. Es genügt dann schon, so zu tun, als ob man sie verfolge, um sie in Begattungsposition verharren zu lassen, während die mit rohem Korn ernährten Tiere normalerweise die Flucht ergreifen.
Ähnlich legt ein Rüde, der die Reste gekochter Mahlzeiten erhält, ein erregtes Verhalten mit unangemessen häufigen und situationsunabhängigen Erektionen an den Tag, die man bei dem selben Hund nicht feststellen konnte, solange er rohe Nahrung bekam.

Umfassende Beobachtungen führten uns zu dem Postulat, daß bestimmte Moleküle in Nahrungsmitteln, die durch die kulinarische Zubereitung denaturiert wurden, nicht mehr richtig metabolisiert werden und neben anderen Störungen eine endogene Erregung des Nervensystems bewirken: Die instinktiven Mechanismen laufen dann in übertriebener Form ab, sie werden schon durch minimale oder partielle Stimulierung ausgelöst, anstatt nur auf das vollständige Auslöserschema zu antworten. Eine solche endogene Erregung kann das Sexualverhalten beim Tier tiefgehend verändern.(16)

Burger stellt diesbezüglich die Frage:

Wenn bei Tieren das instinktive Verhalten gestört ist, bei nur einer gekochten Mahlzeit, muß man einsehen, daß man nicht wissen kann, wie das normale instinktive Verhalten beim Menschen sein sollte, der nie gekocht gegessen hat.

Es handelt sich hierbei um eine wichtige, anthropologische Frage, welche an den Grundfesten der menschlichen Existenz ansetzt. Es ist nicht von der Hand zu weisen, daß der Mensch (abgesehen von den von ihm gehaltenen Haustieren) das einzige Lebewesen ist, welches seine Nahrung vor dem Verzehr verarbeitet und erhitzt.

Die Erfahrung hat uns gezeigt, daß der menschliche Organismus keine Ausnahme von dieser Regel darstellt. Eine Diät, die ausschließlich aus rohen und unverarbeiteten Lebensmitteln besteht, so wie ein Primat sie sich in der Natur verschaffen konnte, läßt einen ganzen Teil der sexuellen Erregung verschwinden, den man als "sexuelles Bedürfnis" oder als einen Erleichterungstrieb mit Tendenz zu Besessenheit bezeichnen könnte.(18)

Die Konsequenzen dieser Erkenntnisse

Es wurde festgestellt, das zwei bisher bekannte störende Faktoren aus der Nahrung auf das Nervensystem einen Einfluß haben und das Verhalten von Mensch und Tier beeinflussen können:

  1. Exorphine – opiatähnliche Substanzen in Getreide und Milch
  2. Neue chemische Arten (NCA) – durch starke Erhitzung entstandene neue molekulare Verbindungen (z.B. Maillard-Moleküle)

Folgendes sei noch einmal in Erinnerung gerufen:

Viele Drogen beeinflussen Verhalten, Stimmung und Denken dadurch, daß sie die Übermittlungsvorgänge an den Synapsen beeinflussen.(19)

Es kann nicht klar genug hervorgehoben werden: Moleküle können auf unser Verhalten, unsere Stimmung und sogar unser Denken Einfluß haben.

Was als simple chemische Aktivität an den Synapsen anfängt, kann schließlich enorme persönliche und soziale Konsequenzen haben.(20)

Burger stellt diesbezüglich folgende Vermutung auf:

Da Weizen in unserer Zivilisation weit verbreitet konsumiert wird, ist der Gedanke naheliegend, daß die Probleme einer Gesellschaft wie der unseren zum Teil in Beziehung mit der Ernährung stehen.(21)

Man wird bemerken, daß die landwirtschaftlichen und kulinarischen Innovationen, welche die traditionelle Gastronomie im Laufe der Jahrtausende ausmachten, nahezu von der Gesamtheit der Individuen seit Menschengedenken geteilt wird, so daß es an einem Bezugssystem der Normalität mangelt, welches erlauben würde, eventuelle Verhaltensstörungen als Folge der klassischen Ernährung zu identifizieren.(22)

Muß man demzufolge nicht mißtrauisch sein gegenüber allem, was innerhalb einer Kultur hervorgebracht wurde und existiert, in der Getreide und Milch Grundnahrungsmittel darstellen und tagtäglich verzehrt werden?

Sollte unsere Art und Weise zu denken, sich mit bestimmten Ideen zu identifizieren, Intuitionen zu erkennen, mit anderen zu kommunizieren, Liebe oder Haß zu fühlen, Sexualität wahrzunehmen, eine Moral oder Philosophie zu entwickeln und spirituelles Leben zu definieren ebenfalls von in unseren Blutkreislauf eingeführten Molekülen abhängig sein?(23)

Es seien an dieser Stelle noch einmal Wadley & Martin zitiert, welche folgende Frage formulieren:

Forschungen über Nahrungsmittelintoleranz lassen vermuten, daß Getreide und Milch bei normalen Verzehrsmengen imstande sind, das Verhalten vieler Menschen zu beeinflussen. Und wenn eine erhöhte Aufnahme von Peptiden schwerwiegende Wirkungen auf das Verhalten schizophrener und an Zöliakie erkrankter Personen verursachen kann, könnten subtilere Wirkungen, die nicht einmal als anormal angesehen werden, allgemein bei Menschen auftreten.(24)

Burger kommt zu einer ähnlichen Schlussfolgerung:

Es ist klar, daß die täglich mit der Nahrung aufgenommenen Dosen an Gluten oder Kasein nicht vollkommen verrückt machen. Das hätte man schon seit längerem bemerkt. Aber die Normalitätsmaßstäbe, die wir uns von uns und unseren Mitmenschen machen, sind nicht unbedingt eine Referenz.(25)

Den „Humanismus für das einmalige Individuum“, die „Veredelung des Sozialverhaltens“ und hohe Bildungsmaxime erfand erst der Mensch, aber eben auch den „individuellen Terror“, die „Verstümmelung des Sozialverhaltens“, den verantwortungslosen Egoismus, die bewußte Verdummung, die Intrige und den Sadismus, die infame Freude an der eigenen Macht und an dem Leid und Tod anderer.(26)

Gehören diese Eigenschaften zu den natürlichen Verhaltensweisen des Menschen?

Eventuell verhilft der Ansatz aus der Lebensmittelpharmakologie zu einem besseren Verständnis für gewisse Verhaltensweisen des Menschen, für die wir bis jetzt nur unzureichende Erklärungen haben. Muß das, was wir unter „zivilisiertem Verhalten“ mit all seinen positiven und negativen Aspekten verstehen, in einem neuen Licht betrachtet werden? Muß demzufolge die Entwicklung, die wir als Zivilisation bezeichnen, neu betrachtet werden? Dies würde der von E. Fromm beschriebenen „Pathologie der Normalität“ eine konkrete Bedeutung geben. Unsere Zivilisation ist gekennzeichnet durch Katastrophen und menschliche Höchstleistungen, technischen Fortschritt, kulturellen Austausch und hohen Wissensstand, aber auch Genozide, Kriege, Unterdrückung und das absichtliche Zufügen von Leid.

Bestimmte Schwierigkeiten, die man in unserer modernen Gesellschaft antrifft, wie die Gewalt, die Rivalität, der Egozentrismus, die Perversion, die Kriminalität, die Kriegen, etc. könnten in einem Maß, daß noch festzulegen bleibt, in Zusammenhang stehen mit den psychischen Störungen, welche durch bestimmte biochemische Faktoren induziert werden, die aus der Nahrung stammen.(27)

Auf den ersten Blick scheint zwischen den eben aufgeführten Verhaltensweisen und dem Einfluß von Exorphinen kein direkter Zusammenhang zu bestehen. Es sei aber nicht vergessen, daß Exorphine, ähnlich wie Morphium, schmerzstillend und euphorisierend wirken.

Es steht sicherlich außer Frage, daß jemand von einem Glas Milch oder einer Scheibe Brot ’high‘ wird – die darin enthaltenen Mengen sind dafür zu gering – aber diese Nahrungsmittel könnten ein Gefühl der Gemütlichkeit und des Wohlbehagens herbeiführen. Patienten mit Intoleranz sagen, daß dies oft der Fall ist.(28)

Die Exorphine haben zweifellos eine euphorisierende Wirkung. Aber lassen wir nicht unbemerkt, daß eine konstante Euphorie auch zu einer größeren Toleranz von Grausamkeit führen kann, die man gegenüber anderen begeht. Mit der Gewohnheit werden die aggressiven Verhaltensweisen, die auch von den Angriffsobjekten besser toleriert werden, schließlich zur Normalsituation. […] Ich neige sogar zu der Annahme, daß ein konstanter Euphoriezustand die allgemeine Tendenz erhöht, seine Macht und Kräfte zu überschätzen, und darin eine Erklärung für die paranoide Tendenz unserer Kultur liegt, deren Auswirkung u.a. die Verachtung des anderen und seinen Leiden ist.(29)

Geschichte beginnt, wo Normalität aufhört

Die oben aufgeführte Erkenntnis und dazu geäußerte Vermutung eröffnet eine völlig neue Sichtweise bezüglich des Charakters und Verlaufs der Zivilisation, aber auch bezüglich der Probleme in der menschlichen Gesellschaft.

Es scheint heutigen Erkenntnissen zufolge relativ klar zu sein, daß Zivilisation und Getreideanbau miteinander zusammenhängen.

Es ist erwähnenswert, daß das Ausmaß, in welchem frühe Stämme zivilisiert wurden, mit der Art des Ackerbaus, den sie praktizierten, korrelierte.(30)

In sehr guter Näherung hatte jede auftretende Zivilisation Getreideanbau als Existenzgrundlage, und wo Getreide kultiviert wurde, tauchte eine Zivilisation auf.(31)

Die Frage, die sich nun stellt, ist, in welchem Maße die kulinarischen Modifikationen des Neolithikums die Verhaltensweise des Menschen bezüglich der zwischenmenschlichen, sexuellen und sozialen Beziehungen beeinflußt haben könnten und dabei zum Wandel von primitiven Gesellschaftsformen (Stamm, Matriarchat, traditionelle Rituale und Initiationsriten, Regeln der Gastfreundschaft, Schamanismus, etc.) hin zu Gesellschaftsformen beitrugen, die als zivilisiert bezeichnet werden.(32)

Größere Zivilisationen haben also gemeinsam, daß ihre Bevölkerungen regelmäßig Exorphine verzehrten. Wir schlagen vor, daß große, hierarchische Staaten eine natürliche Konsequenz bei solchen Populationen waren. Zivilisation entstand, weil die zuverlässige, der Nachfrage entsprechende Verfügbarkeit von in der Nahrung enthaltenen opiatähnlichen Substanzen das Verhalten der Einzelnen änderte, Aggressionen herabsetzte und ihnen erlaubte, tolerant gegenüber dem seßhaften Leben in übervölkerten Gruppen zu werden, regelmäßiger Arbeit nachzugehen und leichter von Regenten unterjocht zu werden. Es entstanden zwei sozioökonomische Klassen, wo vorher nur eine existierte, und so entstand ein Muster, welches von da an dominierte.(33)

Was bisher vorwiegend als Fortschritt der Menschheit betrachtet wurde, scheint sich von dem hier dargestellten Standpunkt aus bei näherer Betrachtung als eine Art Entgleisung der natürlichen menschlichen Gesellschaftsordnung aufgrund des Einflusses drogenähnlicher Substanzen auf die menschliche Psyche zu entpuppen, an deren Anfang die Entgleisung der menschlichen Psyche selbst steht. Diese Annahme könnte die unausgewogenen (sozialen) Verhältnisse innerhalb einer zivilisierten Gesellschaft, aber auch die Wunder und Schrecken, die eben dieser inhärent zu sein scheinen, und denen man überall und permanent in unserer Kultur begegnet, besser erklären. Vor allem aber bedeutet das eine grundlegende Infragestellung der zivilisierten Verhaltensweisen überhaupt.

Innerhalb des Zeitraums, seit dem die Menschheit existiert, kann man im Ganzen betrachtet zwei sich sehr unterscheidende Verhaltensweisen vorfinden:
Zum einen das Verhalten, daß man als Jäger-Sammlerverhalten bezeichnen würde, mit seiner charakteristischen Stammes-Struktur, welche mit Beginn der menschlichen Existenz die älteste Form des menschlichen Zusammenlebens darstellt. Zum anderen das in der Menschheitsgeschichte relativ neue Verhalten, daß man als zivilisierte Verhaltensweise bezeichnen würde, mit ihrer typischen Struktur in Form von großen Staatenkomplexen und unterschiedlichen sozialen Klassen.

Es ist interessant zu sehen, daß lediglich der Zeitraum, ab dem die Zivilisation entstand und existiert, von uns als Geschichte bezeichnet wird. Die Zeit, in der ausschließlich Jäger-Sammlerverhalten stattfand, wird als Vorgeschichte [prehistory] bezeichnet, also als eine Zeit, die per definitionem vor dem Beginn unserer Geschichte liegt. Unsere Zivilisation definiert sich ja durch den Verlauf der Ereignisse, die mit dem Ackerbau (Sündenfall?)(34) ihren Anfang nahmen. Diese Entwicklung ist unmittelbar mit dem Konsum von Getreide und der damit einhergehenden Verhaltensänderung verbunden.

Ist unsere Geschichte der natürliche Verlauf von Ereignissen, in denen Menschen und Völker miteinander agieren? Ist die Zivilisation und die damit verbundene zivilisierte Verhaltensweise die natürliche Form des menschlichen Sozialverhaltens?

Diese Hypothese wird durch die Tatsache erhärtet, daß die Dauer der zweiten, sprich zivilisierten Verhaltensweise, im Vergleich zur Jäger-Sammler-Verhaltensweise dem aktuellen Trend zufolge vermutlich vielfach kürzer ausfällt, gleichzeitig aber auch um ein Vielfaches unnachhaltiger ist. Das heißt, daß die zivilisierte Verhaltensweise innerhalb eines kürzeren Zeitraums viel gravierender in das Ökosystem der Erde eingreift und die eigene Lebensgrundlage der entsprechenden Individuen in einem Maße untergräbt wie es bei Jäger-Sammler-Verhaltensweisen nicht der Fall war.

Diese Vermutung würde sich mit den Gesetzen der natürlichen Auslese decken, nach denen solche Individuen oder Arten eliminiert werden, die von ihrem natürlichen Verhalten abweichen und damit ihren Überlebensvorteil verringern.

Im Allgemeinen würde man erwarten, daß ein Tier, dem Drogen zur Verfügung stehen, sich weniger angepaßt verhalten und somit seine Überlebensaussichten verringern würde.(35)

Global und geschichtlich betrachtet ist die Zivilisation tatsächlich eine weniger an die Umwelt angepaßte Verhaltensweise und verringert mit ihrem Verhalten ihre Überlebensaussichten.

Dies läßt die Vermutung zu, daß Zivilisation als solche nicht unbedingt nur als Fortschritt (wenn es so etwas gibt) gesehen werden kann, sondern eher als eine Abweichung vom natürlichen menschlichen Sozialverhalten (Stammeskultur), welches sich wiederum im Laufe von Jahrmillionen im relativen Gleichgewicht mit dem ökologischen Umfeld entwickelte und bewährte.

Belohnung ohne Anpassungsvorteil – ein typisch zivilisiertes Verhalten?

Getreide sind immer noch Grundnahrungsmittel, und die Methoden künstlicher Belohnung sind seitdem vielfältiger geworden, einschließlich der heutigen weiten Bandbreite pharmakologischer und nicht-pharmakologischer kultureller Artefakte, deren Funktion in ethologischer Hinsicht darin besteht, Belohnungen ohne Anpassungsvorteil zu liefern. […] Folglich bestünde ein Schritt zur Lösung des Problems, das Verhalten zivilisierter Menschen zu erklären, darin, diese weit verbreitete Verhaltensstörung infolge künstlicher Belohnungen in die ethologischen Modelle einzubeziehen.(36)

Das Phänomen der künstlichen Belohnung (Belohnung ohne Anpassungsvorteil) verdient an dieser Stelle noch einmal besondere Beachtung.

Normalerweise hat jedes Verhalten, welches durch den Genuß (Belohnung) stimuliert wird, einen Zweck (Anpassungsvorteil) für das Individuum. Man argumentiert ja auch nicht: „Wenn ich Hunger habe, esse ich, aber dies nur zum Vergnügen, es hat sonst keinen anderen Zweck.“

Generell läßt sich jedes natürliche Verhalten (Instinkt) in folgende Schritte unterteilen:
Trieb --> Genuß (Belohnung) --> Finalität (Anpassungsvorteil)

Ein Instinkt wird über den Genuß realisiert. Ein Verhalten dagegen, welches auf den Genuß ohne Zweck ausgerichtet ist, also den Genuß zum Ziel hat (Belohnung ohne Anpassungsvorteil), dreht sich offenbar im Kreis:
Trieb --> Genuß --> Trieb --> Genuß --> Trieb --> ...

Solch eine unnatürliche Verhaltensweise kann als Sucht bezeichnet werden. Bei der Sucht gibt es keine Finalität, d.h. keinen Anpassungsvorteil für das Individuum. Am Ende steht nur der Genuß.

Das findet man gut an einem Experiment von Olds & Milner (1954)(37) demonstriert, die bei einem Versuchstier eine Elektrode an sein Lustzentrum im Gehirn anschlossen. Die Maus hatte die Möglichkeit, ihr Lustzentrum durch das Drücken einer Taste selbst elektrisch zu stimulieren. Die Folge war, daß sie immer häufiger den Knopf drückte. Sie vernachlässigte darüber hinaus ihren Hunger. Ihr ganzes Handeln war darauf ausgerichtet sich immer wieder zu stimulieren. Es ist klar, daß es sich hierbei um eine künstliche Belohnung handelt.

Es ergibt Sinn, diese Zusammenhänge im Bereich der Ernährung zu betrachten, da sie uns eine große Hilfe dabei sind, zu definieren, was die natürlichen Lebensmittel für den Menschen sind. Denn eben diese scheinen offensichtlich eine wichtige Basis für das optimale Funktionieren der Psyche und somit das natürliche Verhalten beim Menschen zu sein.

Den weiter oben beschrieben Erkenntnissen zufolge findet bei dem Verzehr von Getreide und Milch durch die Wirkung der darin enthaltenen Exorphine eine künstliche Belohnung statt, unabhängig von den ernährungsrelevanten Bedürfnissen des Körpers. Da Lebensmittel, die vor dem Auftauchen der Landwirtschaft den Speiseplan des Menschen ausmachten, nicht diese Eigenschaft hatten, mußte es zwangsläufig zu einer Präferenz von Getreideprodukten kommen, auch wenn es für den Menschen gesundheitliche Nachteile mit sich brachte, d.h. kein Anpassungsvorteil damit erzielt wurde.

Obwohl es gemäß unserer Hypothese das Vorhandensein von Exorphinen war, das Getreide zum häufigsten frühen Kulturgut machte (und kein alternatives Nahrungsmittel, welches in der Nahrungspalette bereits vorhanden war), heißt das nicht, daß Getreide ’nur Drogen‘ sind. Sie waren Jahrtausende lang Grundnahrungsmittel und haben eindeutig einen Wert für die Ernährung. Getreide aber nur als Nahrungsmittel zu behandeln, führt zu Schwierigkeiten bei der Erklärung, warum man sich bemühte, sie zu kultivieren. Die Tatsache, daß die Gesundheit überall abnahm, sobald sie in die Nahrungspalette mit einbezogen wurden, läßt vermuten, daß der schnelle, fast totale Austausch anderer Nahrungsmittel gegen Getreide eher eine Folge einer chemischen Belohnung war, als daß er ernährungsbezogene Gründe hatte.(38)

Jedoch kann künstliche Belohnung im Bereich der Ernährung auch durch eine andere Maßnahme erzielt werden. Man wird nämlich folgendes bemerken: Jedes verarbeitete Nahrungsmittel ist potentiell imstande, Belohnung ohne Anpassungsvorteil zu liefern.

Wird ein Lebensmittel roh verzehrt, also so, wie es von der Natur gegeben ist, verändert es in der Tat deutlich seinen Geschmack, entsprechend den Bedürfnissen des Organismus: wenn es einem Bedürfnis entspricht, so erscheint es angenehm. Sobald es zu einer Überlastung führen würde oder sogar schädlich wäre, erweist es sich in Geschmack oder Konsistenz als unangenehm oder nichtssagend. Dieser Mechanismus der Wahrnehmungsveränderung, der Geschmacks-Alliästhesie, wird durch die kulinarische Zubereitung gehemmt: dasselbe Nahrungsmittel, einmal durch Kochen, Würzen u.ä. zubereitet, behält dann einen Geschmack, der, wie die wahren metabolischen Bedürfnisse auch aussehen mögen, relativ unverändert bleibt.(39)

Deutlich zu erkennen ist hier der Unterschied zwischen der Belohnung mit Anpassungsvorteil und der Belohnung ohne Anpassungsvorteil:
Ein rohes, unbearbeitetes Lebensmittel bietet nur Genuß, wenn es den Bedürfnissen des Körpers entspricht (Anpassungsvorteil). Ein verarbeitetes Lebensmittel schmeckt weitgehend gleich, egal wie die metabolischen Verhältnisse des Körpers sind. Das heißt, es bietet immer Genuß, unabhängig davon, ob es die Bedürfnisse des Körpers deckt oder ihm eher schadet.

Die Aufgabe des Kochrezeptes besteht ja gerade darin, das Nahrungsmittel "besser" als die Natur zu machen, d.h. die instinktiven Sperren zu bezwingen.(40)

Bei näherer Betrachtung sieht man, daß neben der Ernährungsweise viele unserer sogenannten zivilisierten Verhaltensweisen darauf ausgelegt sind, Belohnung ohne Zweck zu erreichen. Vielleicht ist es gerade das, was ein zivilisiertes Verhalten definiert.

Die Zukunft der Verhaltensforschung

Die permanente Einwirkung von psychoaktiven und denaturierten Molekülen (NCA) in der Nahrung auf die Psyche des Menschen wurden in der Verhaltenspsychologie bisher nicht oder nur unzureichend berücksichtigt. Es ist anzunehmen, daß dieser Einfluß das Bild des menschlichen Verhaltens grundlegend verzerrt.

Will man diese erste Fehlerquelle, der die Psychoanalyse bisher nicht Rechnung getragen hat, vermeiden, sollte man Individuen, die eine den genetischen Gegebenheiten unseres Metabolismus angepaßte Kost strikt einhalten, vergleichend beobachten. Wir kommen zu dem Begriff zurück, der als "ursprüngliche Ernährung" bezeichnet wurde: Eine Ernährung, die jeden Faktor ausschließt, der die enzymatischen Mechanismen der Assimilation und das Funktionieren des Nervensystems durch die Präsenz von unerwünschten Molekülen stören könnte. Dies bedingt einen generellen Verzicht auf die Kochkunst und wurde bisher bei Studien über das menschliche sexuelle Verhalten nie vorausgesetzt.(41)

Hier stellt sich ein zentrales Problem der heutigen Verhaltensforschung: Es ist davon auszugehen, daß sich der „Störfaktor Ernährung“ auf die in der Verhaltenspsychologie gewonnenen Ergebnisse auswirkt wie eine falsche Variable in einer großen Gleichung, die das ganze Ergebnis verfälscht. Dadurch stellt sich automatisch die Frage nach dem Sinn der weiteren Erforschung des menschlichen Verhaltens ohne die Berücksichtigung dieses anscheinend so grundsätzlichen Faktors. Und ist es dann nicht fraglich, inwiefern die bisher durch die Verhaltenspsychologie definierten Parameter der menschlichen Verhaltensweisen (Aggression, Sexualität, Sozialverhalten,…) verfälscht sind und unter dem Aspekt der artgerechten Ernährung des Menschen eventuell einer Revidierung bedürfen?

Es scheinen alle Bemühungen, die Entgleisung des natürlichen menschlichen Verhaltens allein durch Verstand und Beherrschung, durch Moral und Gesetz, Ethik und Erziehung (so wie es im übrigen seit Bestehen des Problems seit Jahrtausenden versucht wird) zu beheben, von Anfang an zum Scheitern verurteilt, wenn man nicht die grundlegende Ursache löst, die da wäre, den Einfluß von bewußtseinsverändernden Molekülen aus der Nahrung zu eliminieren. Denn was für einen Sinn haben dann Ethik, Moral und Erziehung des Menschen, wenn eine grundlegende somatische Störung vorliegt, die sich auf seine Verhaltensweise auswirkt, welche diese Bemühungen von vorneherein erschweren, wenn nicht vereiteln?

Dieser Ansatz aus dem Bereich der Nahrungsmittelpharmakologie könnte eine neue Betrachtungsweise geben auf das seit Beginn der Zivilisation bestehende Problem der Spaltung von Körper und Geist und die damit verbundene negative Belegung der Instinkte. Unter anderem spiegelt sich das in der Auffassung wieder, der Mensch müsse sich mit Geist und Verstand über seine niederen Instinkte hinwegsetzen, um ein gesellschaftliches Zusammenleben und eine geistige Entwicklung zu ermöglichen.

Burger stellt folgende Fragen:

Wenn die Instinkte durch die Wirkung der Nahrung gestört wurden, so konnten sie schädlich werden, während sie vielleicht zuerst richtig programmiert waren. […] Vielleicht sind die Instinkte ursprünglich nicht schlecht, sondern genetisch genau programmiert, um eine harmonische gesellschaftliche Beziehung zu ermöglichen und auch unsere geistige Entwicklung zu fördern.(42)

Bis jetzt wurde noch nicht umfassend in Erwägung gezogen, daß die biochemischen Vorgänge im Körper und vor allem in der Psyche aufgrund des Einflusses neuer, parasitärer und psychoaktiver Moleküle aus dem Gleichgewicht geraten sein könnten und nicht mehr in dem Maße funktionieren, wie sie funktionieren sollten.

Sollte es ein anderes Bild des Menschen geben…?

An dieser Stelle tut sich ein neues, nicht zu unterschätzendes Forschungsfeld auf, dem dringend nachzugehen zu sein scheint. Dies beinhaltet, in Zukunft den Faktor der Ernährung in die Verhaltensforschung mit einzubeziehen.

Folglich wäre die logische und konsequente Schlußfolgerung, daß eine grundlegende Änderung des Verhalten des Menschen nur herbeigeführt werden kann, wenn die tatsächliche Ursache behoben wird, sprich Stoffe, die eine Verhaltensänderung herbeiführen (Exorphine, Gluten, Kasomorphine, NCA’s, ...), ausgeschlossen werden, was einen konsequenten Ausschluß der Lebensmittel Getreide und Tiermilch sowie der Verzicht auf den Garprozeß zur Folge hätte.

Literatur

  • G. Wadley & A. Martin, 1993, “The origins of agriculture – a biological perspective and a new hypothesis”, Australian Biologist, S. 96-105
  • G.-C. Burger, 1998, “Brot und Milch – zwei harte Drogen am Ursprung unserer Zivilisation?”, Instincto-Magazine, S. 10-17
  • G.-C. Burger, 1977, „Der nicht-unterdrückte Ödipuskomplex und die natürliche Verhütung“, Florenz
  • G.-C. Burger, „Anopsologie und Metapsychoanalyse“, Datum unbekannt
  • G.-C. Burger, 1994, „Ernährung und Psyche“, Vortrags-MC, Montramé
  • P. G. Zimbardo, 1995 „Psychologie“, 6. Auflage, Berlin Heidelberg
  • G. Schneider, 1999/2000, „Naturwissenschaftlich – Technische Allgemeinbildung und Soziotechnik“, Erfurt
  • R. F. Schmid, 1997,“Traditional foods are your best medicine”, Rochester Vermont
  • H.-D. Schmalt, 1986, „Motivationspsychologie“, Verlag W. Kohlhammer GmbH; Stuttgart
  • J. A. Keller, 1981, „Grundlagen der Motivation“; Urban & Schwarzenberg; München – Wien – Baltimore

Fußnoten

  1. Burger, 1998, S. 13
  2. Zimbardo, 1995, S. 253
  3. Zimbardo, 1995, S. 127
  4. Zimbardo, 1995, S. 247-248
  5. In den folgenden Abschnitten benutzen wir den Begriff „Exorphine“ für Exorphine, Kasomorphin und MIF-1-Analogon. Obwohl opiatähnliche und dopaminerge Substanzen auf verschiedene Weise wirken, sind sie beide ’belohnend‘ und somit für unsere Zwecke mehr oder weniger gleichbedeutend. (Wadley & Martin, 1993, S. 3)
  6. Wadley & Martin, 1993, S. 2
  7. Wadley & Martin, 1993, S. 1
  8. Wadley & Martin, 1993, S. 3
  9. Wadley & Martin, 1993, S. 2
  10. Wadley & Martin, 1993, S. 3
  11. Wadley & Martin, 1993, S. 3
  12. Zu ihnen zählen zum Beispiel die „Maillard-Moleküle“, die sich bei relativ hohen Temperaturen bilden (z.B. in Brot- und Bratenkrusten, bei Kaffeebohnen-röstung). Aber auch das kürzlich entdeckte Acrylamid ist eine weitere NCA, die sich bei hohen Gartemperaturen in stärkehaltigen Lebensmitteln bildet.
  13. Aus diesem Grunde ist eine zu hohe Körpertemperatur (Fieber) für den Menschen lebensgefährlich.
  14. Schmid, 1997, S. 37
  15. Burger, „Anopsologie und Metapsychoanalyse“, S. 2
  16. Burger, 1977, S. 3
  17. Burger, 1994, Vortrags-MC
  18. Burger, 1977, S. 3
  19. Zimbardo, 1995, S. 127
  20. Zimbardo, 1995, S. 148
  21. Burger, 1998, S. 13
  22. Burger, „Anopsologie und Metapsychoanalyse“, S. 2
  23. Burger, 1998, S. 16
  24. Wadley & Martin, 1993, S. 3
  25. Burger, 1998, S. 13
  26. Schneider, 1999/2000, S. 6
  27. Burger, „Anopsologie und Metapsychoanalyse“, S. 2
  28. Wadley & Martin, 1993, S. 3
  29. Burger, 1998, S. 16-17
  30. Wadley & Martin, S. 4
  31. Wadley & Martin, S. 2
  32. Burger, „Anopsologie und Metapsychoanalyse“, S. 2
  33. Wadley & Martin, S. 4
  34. Die Tatsache, dass Getreide regelrecht abhängig machen kann, bietet eventuell eine plausible Erklärung bezüglich des Sündenfall. Warum hat sich der Mensch zu einem Leben als Ackerbauer herabgelassen, wo er sich das Brot im Schweiße seines Angesichts verdienen muss?
  35. Wadley & Martin, 1993, S. 4
  36. Wadley & Martin, 1993, S. 5
  37. Schmalt, 1986, S. 32-33 / Keller, 1981, S. 67-71
  38. Wadley & Martin, 1993, S. 4
  39. Burger, 1977, S. 1
  40. Burger, 1977, S. 1
  41. Burger, 1977, S. 3
  42. Burger, 1994, Vortrags-MC

Kommentar des Psychologie-Professors

Dies ist ein Kommentar zur vorstehenden Arbeit „Über die Unzulänglichkeit der gegenwärtigen Verhaltenspsychologie“ von Ernst Hany, 10.4.2003. In dieser Arbeit referiert Peter vor allem die Ausführungen von G.-C. Burger und Wadley & Martin zu den Einflüssen der Ernährung auf menschliche Erlebens- und Verhaltensweisen. Die zentralen Aussagen möchte ich in folgenden Thesen zusammenfassen:

(T1) Die Ernährung, besonders Milch- und Getreideprodukte, beeinflusst Verhalten und Erleben des Menschen.

(T2) Diese Einflüsse sind dem Menschen angenehm, ähnlich wie bei Alkohol und Drogen. Deshalb entwickelt er eine besondere Vorliebe für Milch- und Getreideprodukte.

(T3) Weil alle Menschen Milch- und Getreideprodukte zu sich nehmen, fällt die psychologische Wirkung dieser Nahrungsmitteln nicht mehr auf. Da alle Menschen sich psychisch verändert haben, schreibt man die Effekte der Nahrung der menschlichen Natur allgemein zu.

(T4) Würde der Mensch auf Milch und Getreide verzichten, würde er zu seiner „wahren Natur“ zurückfinden und „echte“ Erlebensweisen und Gefühle haben.

Diese Aussagen lassen sich insgesamt nicht halten und sind auf der Ebene vorwissenschaftlichen Denkens angesiedelt. Ich beginne mit der These T3. Es ist falsch, dass alle Menschen in gleicher Weise Milch- und Getreideprodukte zu sich nehmen. Es gibt Menschen mit einer angeborenen Kuhmilchunverträglichkeit, ebenso Menschen mit einer Weizenallergie. Diese Personen dürfen die genannten Nahrungsmittel nicht zu sich nehmen. Ferner gibt es strenge Vegetarier, die keine tierischen Produkte, also auch keine Milch, zu sich nehmen. Des weiteren unterscheiden sich Kulturen deutlich in der Verwendung von Milch- und Getreideprodukten. Auch intraindividuelle Unterschiede lassen sich in großem Umfang beobachten. Personen, die streng fasten, solche, die in Hungerstreik treten, und solche, die wegen einer Magen-Darm-Operation keine feste Nahrung, auch keine Milch, zu sich nehmen dürfen, unterscheiden sich in ihrer Ernährung eindeutig von „Otto Normalverbraucher“. Trotz dieser massiven Unterschiede in der dauerhaften oder vorübergehenden Ernährungslage sind die unterstellten psychischen Auswirkungen der Nahrungsmittel bislang nicht beobachtet worden.

Aufgrund des Nahrungsmetabolismus müssten aber die vermuteten Wirkungen der Nahrung auch intraindividuell deutlich beobachtbar sein. Wie bei Alkohol und Drogen dürften die psychischen Auswirkungen von Nahrungsmitteln nur wenige Stunden andauern. Wer einen halben Tag lange keine Milch- und Getreideprodukte zu sich nimmt, müsste sich also sofort ganz anders fühlen als nach einer entsprechenden Nahrungsaufnahme.

Es stellt sich die Frage, warum die Verfechter von T1 bis T4 nicht schon längst entsprechende Experimente durchgeführt haben. Der Nahrungsmittelkonsum lässt sich doch hervorragend experimentell steuern. Eine Versuchsgruppe, die nur Milch und Brot zu sich nimmt, könnte einer anderen Gruppe, die nur Gemüse isst, gegenübergestellt werden. Wenn solche Experimente nicht durchgeführt werden, muss man vermuten, dass die „Forscher“ ihre Thesen gar nicht beweisen wollen.

Die These T2 ist ebenfalls falsch. In unseren Industriegesellschaften, in der Nahrungsmittel in beliebigem Umfang zur Verfügung stehen, ist es keineswegs so, dass Milch- und Getreideprodukte zu den meistkonsumierten Nahrungsmitteln gehören. Nach allen demographischen Untersuchungen essen die Menschen in den westlichen Ländern zu süß, zu fett und zu salzig und insgesamt zu wenig Ballaststoffe. Untersuchungen an Tieren und Kindern haben gezeigt, dass Süßes besonders attraktiv ist, nicht jedoch Milch und Brot, die praktisch keinen Zucker aufweisen. Wenn Milch und Brot süchtig machen würden, würden die Menschen abends in den Restaurants – wenn sie vor allem zum Vergnügen und nicht so sehr zur Stillung des Hungers essen – nur noch Milch und Brot bestellen. Dies ist nirgendwo auf der Welt zu beobachten.

Die These T1 kann deshalb nur in ihrer allgemeinsten Form aufrechterhalten werden. Selbstverständlich beeinflusst die Nahrung die Psyche, schon allein durch das Gefühl von Hunger oder Sattheit. Andere Einflüsse lassen sich mit den Sprichwörtern „Das Auge isst mit“ und „Liebe geht durch den Magen“ andeuten. Die besondere Rolle der Ernährung für den Kraft- und Ausdauersport ist ebenfalls gut bestätigt.

Die Autoren versuchen ihre These dahingehend zu retten, dass sie von Einflüssen sprechen, die praktisch unbemerkt bleiben. Solche Einflüsse werden immer wieder postuliert. Beispielsweise sollen Mondphasen, die Stellung der Gestirne, „Elektrosmog“, Wasseradern usw. die Psyche des Menschen insgeheim beeinflussen. Solche „unmerklichen“ Einflüsse können nicht von vornherein ausgeschlossen werden. Es wäre unwissenschaftlich zu behaupten, dass es diese Einflüsse nicht geben könne. Wissenschaftlich muss man sich aber stets um empirische Nachweise bemühen. Wenn diese nicht möglich sind, vielleicht, weil die verfügbaren Messinstrumente noch nicht die entsprechende Sensibilität aufweisen, muss man dies akzeptieren. Man kann aber dann weiterhin nur von Thesen oder Vermutungen sprechen, keinesfalls aber von Belegen oder Nachweisen. Wenn jemand behauptet, die Einflüsse seien so subtil, dass sie nicht nachweisbar seien, und der fehlende Nachweis sei ein Beweis für die subtile Wirksamkeit, so erinnert das nur an den Witz vom Elefanten. Sagt jemand: „Da oben im Baum hat sich ein Elefant versteckt.“ Sagt der andere: „Ich sehe aber keinen.“ Erwidert der eine: „Das ist ja der Beweis dafür, dass er da ist und sich so gut versteckt hat!“

Bleibt noch die Diskussion von These 4. Auch sie ist unhaltbar. Denn sie setzt einen Maßstab voraus, der es erlauben würde, ein falsches von einem echten Bewusstsein zu unterscheiden. Solche Unterscheidungen gab es in der Philosophie immer schon. Eine „göttliche“ oder „physikalische“ Realität wurde dem sinnengebundenen „Schein“ der menschlichen Erkenntnis gegenübergestellt. In den letzten Jahrzehnten hat sich diese Meinung gewandelt. Der Mensch ist nicht unter Umgehung seiner Sinne und seines Gehirns zu einer „objektiven“ Erkenntnis der Welt fähig. Alles, was im Bewusstsein des Menschen landet, ist durch seine körperliche Verfasstheit mitbedingt. Da verschiedene Individuen zwar kommunizieren, aber nicht Bewusstseinsinhalte austauschen können, muss immer Spekulation bleiben, ob mein Gegenüber dasselbe empfindet und denkt wie ich. Wenn wir uns also kaum darüber verständigen können, wie ich denke und fühle, wie soll man dann entscheiden, was die wahre Natur des Denkens und Fühlens ist und wann jemand diesen Zustand erreicht hat oder nicht?

Die Annahme eines „richtigen“ Denkens ist idealistisch, dogmatisch und ein wenig überheblich. Dahinter steckt der unreflektierte, unbewusste Wunsch nach einer geordneten, gerechten Welt, einer harmonischen Symbiose von Mensch und Natur sowie ein allgemeiner Kultur- und Zivilisationsüberdruss.