Getreide ist Opium für das Volk

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Rauschmittel im Korn sollen den Siegeszug des Ackerbaus ermöglicht haben

Als vor zehntausend Jahren die ersten Bauern in Mesopotamien ihren Holzpflug ansetzten, ahnten sie noch nicht, welche phänomenalen Konsequenzen diese buchstäbliche «Umwälzung» haben sollte. Die Bearbeitung der Scholle, die die Voraussetzung für alle zivilisatorischen Errungenschaften der Menschheit schuf, beschwor zugleich eine dramatische Einschränkung der Lebensqualität herauf. Nach einer neuen Theorie nahmen die Menschen diese Widernisse nur deshalb in Kauf, weil rauschgiftartige Substanzen im Getreide und in der Milch ihnen einen «Kick» verschafften.

Es ist gut belegt, daß der Homo sapiens vor ungefähr zehntausend Jahren einen radikalen Schnitt mit seiner früheren Lebensweise machte. Er sagte der nomadischen Existenz als Jäger und Sammler adé und sattelte auf ein seßhaftes Dasein als Landwirt und Viehzüchter um. Die «neolithische (neusteinzeitliche) Revolution», die sich vom Nahen Osten wie ein Lauffeuer über den Globus ausbreitete, lieferte Nahrungsmittelvorräte, welche die Voraussetzung für Zivilisation und Kultur schufen. Auf dem Rücken der Agrarwirtschaft blühten die ersten Städte, die Schrift, das Rad, die Arbeitsteilung, das Gesetz und die Steuerverwaltung auf. Noch heute wird der weltweite Bedarf an Protein und Kalorien zu zwei Dritteln aus Korn gestillt.

Viel Arbeit für eine Schmalspur-Diät

Ein unerklärliches Rätsel bleibt jedoch bis heute, warum die Menschen diesen folgenschweren Schritt in die Seßhaftigkeit unternahmen, obwohl er ihnen zunächst eine dramatische Verschlechterung der Lebensqualität bescherte. So mußten die frühen Bauern von dem reichhaltigen Speiseplan ihrer nomadischen Vorfahren Abschied nehmen, der ein kaum noch nachvollziehbares Spektrum von Beeren, Nüssen, Früchten, Knollen und Wild samt den darin vorkommenden Wertstoffen enthielt. Mit dem Beginn von Ackerbau und Viehzucht verengte sich der Speiseplan plötzlich auf eine Schmalspurdiät aus Getreide- und später Milch- und Fleischprodukten, die diverse Mängel und ein brisantes Potential für Allergien aufwies.

Die Spuren dieses Defizits sind in den archäologischen Funden nachzuweisen. Nicht nur, daß sich die Körpergröße der Menschen massiv verringerte und erst im vergangenen Jahrhundert wieder auf das ursprüngliche Maß anstieg. Knochenüberreste belegen auch einen insgesamt schlechteren Gesundheitszustand und eine Zunahme der Säuglings- und Kindersterblichkeit. Dazu kommen diverse Knochen- und Zahnschäden, die ganz offenbar die Folge einer einseitigen Ernährung und einer höheren Anfälligkeit gegenüber Parasiten waren. Trotz dieser Nachteile mußten die frühen Landwirte plötzlich sehr viel mehr Zeit und Mühe für die Bereitstellung ihrer Nahrungsgrundlage aufbringen als ihre wilden Ahnen im Neandertal.

Die größten Beeinträchtigungen waren jedoch im sozialen Zusammenleben zu spüren, stellen die beiden australischen Biologen Greg Wadley und Angus Martin in ihrem Artikel Die Ursprünge der Landwirtschaft fest. Lockere und egalitäre Verbandsstrukturen lösten sich auf und machten straff hierarchisch gegliederten Strukturen Platz. «Landwirtschaft und das rapide Wachstum der Städte bedeuteten das Ende der Jagd, die das direkte Erreichen der Ziele verhieß. Dafür kam harte und disziplinierte Arbeit, die auf weit entfernte Ziele abhob und die Unterwerfung unter den Willen der Herrschenden verlangte.» Den höchsten Preis mußten vermutlich die Frauen bezahlen, die unter die Fuchtel des Patriarchats gelangten.

Lebensmittel als Droge

Es gibt bisher keine befriedigende Erklärung, warum unsere Vorfahren dieses Los hinnahmen, heben die beiden Autoren hervor. Manche Verdachtsmomente richten sich auf einen plötzlichen Klimawandel oder auf einen jähen Sprung in der Bevölkerungsstruktur. Keine dieser Annahmen wird durch die Befunde gestützt. Doch Wadley und Martin bieten jetzt eine exotisch klingende Alternative an: Die Jäger und Sammler wurden regelrecht zum Ackerbau verführt, weil die Nahrung aus Korn und Milchprodukten rauschgiftartige, die Stimmung aufhellende Ingredienzien enthält. Untersuchungen der letzten Jahre haben nämlich ergeben, daß der Organismus aus Getreide, mit Abstrichen auch aus Käse und Milch, mit dem Morphium verwandte Eiweißstoffe («Exorphine») gewinnt, die eine Fülle von biologischen Wirkungen entfalten. Personen, die ein durchschnittliches Menü von Getreide und Milch konsumieren, nehmen das Doppelte der Menge an Exorphinen auf, die bei Depressiven die niedergeschlagene Stimmung aufhellt. Getreide und Milch sind aber auch mit der Substanz MIF-1 durchsetzt, die im Gehirn als Doppelgänger der Glücksdroge «Dopamin» fungiert. Großangelegte Erhebungen haben in den letzten Jahren gezeigt, daß es immer wieder die gleichen Nahrungsmittel sind, die Unverträglichkeiten, zugleich aber auch suchtartige Nahrungsgelüste auslösen. Getreide- und Milchprodukte stehen meist auf den ersten Rängen.

Bierproduktion im alten Ägypten

Wenn die These stimmt, nahmen die frühen Landwirte die Unbilden des Ackerbaus in Kauf, weil die Ernte ihnen einen sanften «Kick» verhieß und zugleich den Streß und die Plagen der neuen Lebensweise dämpfte. Um an mehr und besseren «Stoff» heranzukommen, entwickelten die frühen Bauern neue Methoden des Anbaus und der Verarbeitung, die den Gehalt an Exorphinen erhöhten. Besonders die Maillard-Reaktion, die dem Brot bei hohen Temperaturen Bräunung gibt, läßt die Ausbeute in die Höhe schnellen. Schließlich wurde das Getreide auch in allen frühen Hochkulturen zur Gewinnung von Bier genutzt. Im alten Ägypten hatte das Bier einen hohen Stellenwert. Für Bier gab es ein eigenes Schriftzeichen. Das Schriftzeichen für Mahlzeit wurde dagegen aus den Zeichen für Bier und Brot zusammengesetzt. Einen Verdacht hat der Anthropologe Solomon Katz von der University of Pennsylvania schon vor ein paar Jahren aufgestellt: Unsere Vorfahren waren dem Alkohol verfallen. Nachdem sie zufällig vergorenen Gerstenbrei gekostet hatten, setzten sie alles daran, die nötigen Rohstoffe für die Bierbrauerei regelmäßig ernten zu können.

Syndrom X als nachträgliches Erbe

Wie immer es auch angefangen haben mag, es gibt Anzeichen, daß der Jetztmensch noch unter den Folgen zu leiden hat. Seit langem beobachten Mediziner, daß in den Industrienationen mit der Zunahme des Übergewichtes ein «tödliches Quartett» aus gesundheitlichen Geißeln um sich greift: Hypertonie (erhöhter Blutdruck), Hyperlipidämie (erhöhte Blutfette), Hyperglykämie (erhöhter Blutzucker) und Hyperinsulinämie (erhöhter Insulinspiegel). Wenn die Zeichen nicht trügen, geht dieses «Syndrom X» auf den Sündenfall des Ackerbaus zurück. Viele der heute populären Speisen wie Weißbrot, Reis oder Kartoffeln treiben den Blutzucker und den Insulinspiegel in die Höhe, was langfristig wahrscheinlich fatale Konsequenzen für den Stoffwechsel hat.

Quelle: Tabula Nr. 1/2002 Seite 10-11. Autor: Rolf Degen