Physiologische und psychologische Mechanismen der Nahrungsaufnahme

Aus Rohkost-Wiki
Zur Navigation springenZur Suche springen

In diesem Artikel werden die grundlegenden physiologischen und psychologischen Mechanismen der Nahrungsaufnahme beschrieben. Die Erkenntnisse beruhen auf Untersuchungen der sich durch Kochkost ernährenden Menschheit, können aber zum großen Teil auch auf die Ernährung mit rohen Lebensmitteln übertragen werden. Auf erkennbare Unterschiede wird im Einzelnen hingewiesen.

Allgemeines

Über die Nahrung wird der Körper mit Energie und lebenswichtigen Stoffen versorgt. Im Normalfall besteht zwischen Aufnahme und Ausscheidung von Stoffen ein Gleichgewicht (Fachbegriff: Homöostase), das über hormonelle, neurale und metabolische Regelkreise, die zwischen Verdauungsapparat und zentralem Nervensystem ablaufen, reguliert wird. Teile des Hirnstamms (Fachbegriff: Medulla oblongata) und der Hypothalamus spielen dabei eine besondere Rolle.

Physiologische Mechanismen

Hunger und Sättigung

Der echte Hunger, der aufgrund eines Energie- oder Nährstoffbedarfs des Körpers entsteht, unterscheidet sich klar vom sogenannten falschen Hunger, der ein Entgiftungs-Symptom darstellt. Einzelheiten zu verschiedenen Hungergefühlen werden in dem Artikel Das Hungergefühl erläutert. Das Sättigungsgefühl führt zum Einstellen der Nahrungsaufnahme und verhindert damit die übermäßige Zufuhr von Energie bzw. Nahrung.

Neurale Regulation

Mechanisch

Während des Essens werden zunächst Geruchs-, Geschmacks- und Mechanorezeptoren des Nasen-Mund-Rachenraumes, der Speiseröhre und des Magens aktiviert und bewirken im Hypothalamus eine Dämpfung des Hungerreizes. Auch der Füllungszustand des Dünndarms wird registriert.

Thermisch

Die Oxidation energieliefernder Nährstoffe (vor allem Kohlenhydrate, Fette) führt nicht nur zur Bildung des universellen Energieträgers ATP (Adenosintriphosphat), sondern auch stets zu der Entstehung von Wärme: Das Nervengewebe der Leber besitzt temperaturempfindliche Fasern, die schon geringfügige Änderungen registrieren und an das ZNS weiterleiten. Steigt die Temperatur führt dies zum Aufkommen eines Sättigungsgefühls. Fette besitzen eine besonders hohe wärmebildende Kapazität.

Regulation der Nahrungsaufnahme

Biochemische Regulation

Nährstoffe

Der Glukosespiegel des Blutes ist ein Faktor, der die Nahrungsaufnahme reguliert. Der Wert wird von Rezeptoren in der Leber und im Magen an den Hypothalamus gemeldet. Sinkt der Spiegel bzw. müssen Fett- und Proteinreserven zu seiner Aufrechterhaltung abgebaut werden, werden Hungerreize ausgelöst.

Im Körper gespeichertes Depotfett ist der Hauptenergielieferant des Körpers. Kommt es zum Abbau, entstehen freie Fettsäuren, Glycerin und Ketonkörpern, die einen Einfluss auf Hunger und Sättigung haben. So soll eine Erhöhung des Ketonkörperspiegels zu einer Dämpfung des Hungergefühls führen.

Die Konzentration an Aminosäuren im Blut spielt bei der Regulation der Nahrungsaufnahme ebenfalls eine Rolle: Bei hoher Konzentration entsteht ein Sättigungsgefühl. Aus Aminosäuren entstehen außerdem eine Reihe weiterer Verbindungen, unter ihnen mehrere Botenstoffe von Nervenzellen (Fachbegriff: Neurotransmitter), die die Gefühle von Hunger und Sättigung ebenfalls steuern können.

Neurotransmitter

Zu den Neurotransmittern, die bei Regulation der Nahrungsaufnahme eine Rolle spielen, gehören das Serotonin, das Noradrenalin und einige Opioide (chemische Verbindungen mit einer schmerzlindernden Wirkung). Serotonin erzeugt einen spezifischen Hunger nach Kohlenhydraten oder Proteinen. Es ist für ein ausgewogenes Verhältnis beider Makronähstoffe wichtig. Noradrenalin ist für erhöhte Zufuhr für Kohlenhydrate verantwortlich. Die Opioide lösen eine Vorliebe für Fett aus.

Hormone

Sowohl das Insulin, das neben dem Blutzuckerspiegel auch die Konzentration der freien Fettsäuren, der Ketonkörper und der Aminosäuren im Blut erniedrigt, als auch sein Gegenspieler, das Glucagon, spielen eine wichtige Rolle bei der Regulation. Beide Hormone werden in der Bauchspeicheldrüse (Fachbegriff: Pankreas) gebildet. Ein hoher Insulinspiegel löst Hunger, das Glucagon dagegen ein Gefühl der Sättigung aus.

Ein weiteres Sättigungshormon ist das Cholecystokinin (CCK). Es wird im Magen gebildet. Das ebenfalls vom Magen gebildete Ghrelin wirkt dagegen appetitanregend. Als Gegenspieler (Fachbegriff: Antagonist) wirkt das Neuropetid NPY, das von den Schleimhautzellen des Dünndarms freigesetzt wird. Schlafmangel bewirkt eine erhöhte Ghrelin-Ausschüttung und führt damit zu einer Entstehung von Hungergefühlen. Orexine, Neuropeptid-Hormone des Hypothalamus, haben ebenfalls eine appetitanregende Wirkung und beeinflussen das Schlaf-/Wachverhalten.

Die Zellen des Fettgewebes setzen das Hormon Leptin frei, welches das Hungergefühl dämpft. Ein Sinken des Leptinspiegels löst also ebenso wie ein niedriger Blutzuckerspiegel ein Hungergefühl aus. Die Regulation der Nahrungsaufnahme über das Fettgewebe erfolgt allerdings langsam und dabei quantitativ sehr genau: Unter biologisch normalen Bedingungen wird die Größe des Fettgewebes und daher auch das Körpergewicht über Monate und Jahre konstant gehalten.

Einfluss der Ernährungsweise

Die physiologische Regulation der Nahrungsaufnahme kann durch eine Ernährung, an die der Organismus genetisch nicht angepasst ist, aus ihrem Gleichgewicht gebracht werden. Dies ist der Fall, wenn die Lebensmittel denaturiert werden, aber auch durch ungeeignete Mischungen und Kombinationen von rohen Lebensmitteln, bei denen der Ernährungsinstinkt außer Kraft gesetzt wird.

So kann der Blutzuckerspiegel zwar dem Sollwert entsprechen, trotzdem wird aber ein Hungerreiz durch den Mangel an wichtigen Nährstoffen (Vitaminen, Aminosäuren, Fetten) ausgelöst. Wird die Auswahl der Lebensmittel nicht über den Ernährungsinstinkt geregelt, der über Geruch und Geschmack anzeigt, welches Lebensmittel die momentanen Nährstoffbedürfnisse am besten erfüllt, entsteht ein mit dem Verstand nicht zu befriedigender Hunger bzw. Appetit: Die Nahrungsaufnahme wird bei normaler Kochkost bzw. Küchenrohkost trotz klarer Sättigungssignale weitergeführt und kann zu Übergewicht führen. Anders sieht es bei der Ernährung mit instinktiver Rohkost aus: Steht eine ausreichende große Auswahl an Lebensmitteln zur Verfügung, kann der Ernährungsinstinkt das geeignete Lebensmittel auswählen. Die instinktive Sperre verhindert zudem die übermäßige Aufnahme von Nahrung.

Psychologische Mechanismen

Natürliche Konditionierungen

Die genetisch festgelegten physiologischen Regelkreise von Hunger und Sättigung werden durch verschiedene äußere Faktoren und Konditionierungen während der frühen Kindheit beeinflusst. So spielen das Essverhalten und die Nahrungsmittelauswahl der Mutter während der Schwangerschaft und der Personen, mit denen kleine Kinder gemeinsam essen, eine bedeutende Rolle. Nur Kinder, die in einem sich instinktiv roh ernährenden Umfeld aufwachsen, können lernen, den eigenen Sinnen bei der Nahrungsmittelauswahl zu vertrauen: Sie lernen, welche Nahrungsmittel generell in Frage kommen, wählen aber aus den zur Verfügung stehenden Lebensmitteln mit Hilfe von Geruchs- und Geschmackssinn eigenständig die jenigen aus, welche die physiologischen Bedürfnisse ihres Körpers am besten befriedigen. Die Belohnung für dieses Verhalten erfolgt nicht durch äußere Einflüsse, sondern durch die Belohnungszentren im eigenen Gehirn.

Widernatürliche Konditionierungen

Präferenz für Süßes

Die Präferenz für Süßes ist nicht nur beim Menschen sondern auch bei vielen Tierarten sehr wahrscheinlich genetisch festgelegt. In einer natürlichen Umgebung sind leichtverdauliche Kalorien nur schwer zugänglich, so dass diese Präferenz in einer natürlichen Umgebung einen Evolutionsvorteil darstellt.

Dieser Vorteil verkehrt sich durch die freie Verfügbarkeit von denaturierten, kohlenhydratreichen Lebensmitteln ins Gegenteil und hat das Auftreten vieler ernährungsbedingter Krankheiten zur Folge. Die Präferenz für Süßes wird aber nicht nur durch die freie Verfügbarkeit zum Problem: Süße Lebensmittel werden außerdem zur Belohnung nach dem Erreichen pädogischer Ziele angeboten und dienen oft als Ersatz für körperliche Zuwendung: "süß" wird oftmals mit "lieb" gleichgesetzt.

Die Vorliebe für Süßes, bzw. kohlenhydratreiche und damit kalorienreiche Lebensmittel, macht sich auch nach der Umstellung auf instinktive Rohkost bemerkbar: Viele Anfänger bevorzugen Früchte mit einem hohen Kaloriengehalt. Allerdings setzt das Auftreten der instinktiven Sperre und das Fehlen von himmlische Phasen diesem Verhalten schnell ein Ende. Die Aufnahme von süßen Lebensmitteln ist also nicht mehr nur mit positiven Empfindungen verbunden, so dass mit der Zeit die fehlerhafte Konditionierung "süß = lieb" aufgelöst werden kann.

Präferenz für Salziges

Auch die Vorliebe für Salziges hat unter natürlichen Bedingungen ihre Berechtigung: Salz ist für die Funktion des Körpers unverzichtbar, in der Wildnis aber nur selten zu finden. Viele Tierarten suchen gezielt nach Salz, um sich ausreichende Mengen zu verschaffen. Bei der Kochkost wird Salz allerdings über die notwendigen physiologischen Bedürfnisse hinaus konsumiert: Es dient vor allem dazu, die durch das Kochen geschmacklos gewordenen Lebensmittel wieder verzehrbar zu machen. Der übermäßige Konsum von Salz kann genau wie der von Zucker zu zahlreichen Erkrankungen führen. Salz sollte deshalb immer unabhängig von anderen Lebensmittel unter Berücksichtigung der instinktiven Sperre verzehrt werden.

Präferenz für Milchprodukte

Milch der eigenen Art ist die natürliche Nahrung für Säuglinge. Die meisten Menschen verlieren im Alter von eineinhalb bis drei Jahren die Fähigkeit, das Enzym Laktase zu produzieren, das für die Verdauung von Milch erforderlich ist. Erwachsene Menschen, die Milch verdauen können, sind die Ausnahme. Einige ethnische Gruppen wie die Nordeuropäer sind jedoch in der Lage, auch im Erwachsenenalter Laktase zu produzieren und konsumieren regelmäßig und in großen Mengen Milchprodukte. Eine Hypothese besagt, dass der Verzehr von Milchprodukten über das Säuglingsalter hinaus bei Völkern, die weit entfernt vom Äquator leben, einem Vitamin-D-Mangel vorbeugt. Bei einer freien Verfügbarkeit von Vitamin-D-reichen Lebensmitteln fällt diese Notwendigkeit jedoch weg. Rohköstler berichten zudem häufig von starken Verschleimung nach dem Verzehr von roher Milch und rohen Milchprodukten, so dass aufgrund der auftretenden negativen Symptome auf den Konsum verzichtet wird.

Aversionen

Neben anerzogenen Präferenzen gibt es anerzogene Aversionen: So wird in einigen Kulturen der Verzehr von Insekten als "ekelerregend" empfunden. Diese Konditionierungen kann man überwinden, wenn man sich allein von Geruchs- und Geschmackssinn leiten lässt.

Tageszeit der Nahrungsaufnahme

Fehlerhafte Konditionierungen durch kulturelle Einflüsse entstehen aber nicht nur bei der Auswahl der Lebensmittel sondern auch bei der Tageszeit des Nahrungsaufnahme. In einigen Kulturen wird die erste morgendliche Mahlzeit als besonders wichtig empfunden: "Morgens essen wie ein Kaiser, mittags wie ein König, abends wie ein Bettelmann!" Wer sich auf instinktive Rohkost umstellt, lernt, die Menge der aufgenommen Nahrung nicht von der Tageszeit abhängig zu machen, sondern von den aktuellen körperlichen Bedürfnissen.

Zusammenfassung

Die Regulation der Nahrungsaufnahme ist sehr komplexer Natur und umfasst weit mehr als die hier beschriebenen Faktoren. Zum großen Teil sind die genauen Kontrollmechanismen trotz zahlreicher Forschungsarbeiten auf diesem Gebiet noch unklar. Offen bleibt für die moderne Wissenschaft auch die Frage, wie eine gesunde Ernährung auszusehen hat, bei der die für den Organismus erforderlichen Nährstoffe in optimaler Qualität und Quantität enthalten sind und bei der das Körpergewicht in idealen Grenzen bleibt.

Die Ernährung mit rohen, naturbelassenen Lebensmitteln, die mit Hilfe des Ernährungsinstinkts ausgewählt werden, nutzt die körpereigene Intelligenz, um diese Frage zu beantworten. Die Chancen stehen gut, mit dieser Form der Ernährung eine optimale Zufuhr von Energie und Nährstoffen zu erreichen: Sie ist in einem langen evolutionären Prozess entstanden und wird praktisch von jedem anderen tierischen Organismus auf unserem Planeten genutzt. Viele ernährungsbedingte Erkrankungen, die den Menschen plagen, sind bei diesen Organismen unbekannt. Es scheint daher sinnvoll zu sein, den eigenen Instinkten zu vertrauen statt den neuesten Forschungsergebnissen auf dem Gebiet der Ernährungswissenschaften.

Artikel

Literatur

A. W. Logue: Die Psychologie des Essens und Trinkens.
Spektrum Verlag 1998, 520 Seiten. ISBN 3-827-40393-3
Marvin Harris: Wohlgeschmack und Widerwillen.
Die Rätsel der Nahrungstabus.
Klett-Cotta 2005, 4. Auflage, 308 Seiten. ISBN 3-608-94412-9