Bericht: Mit Rohkost von Südtirol in die Tropen und zurück

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Autor: Anonym im Juni 2022


Meine erste und gleich sehr enge Bekanntschaft mit Rohkost machte ich an meinem zwanzigsten Geburtstag 1991. Auf der Suche nach einem naturnahen Leben war ich bei einer deutschen Aussteigerfamilie auf einer abgelegenen Finca in Nordportugal gelandet. Diese versuchte sich gerade an der Rohkost. Ich war von Anfang an von der Natürlichkeit und damit verbundenen Logik dieser Ernährungsform angetan. Meine Gastgeber gaben mir Guy-Claude Burger und Helmut Wandmaker zu lesen. Die Ausführungen in den Büchern, das Vorbild durch die Familie und die Abgeschiedenheit des Ortes, wir waren zwei Eselsstunden vom nächsten Kaff entfernt, machte mich praktisch von einem Tag auf den anderen zum Rohköstler.

Meine Zeit in Portugal war eine unvergessliche Erfahrung. Wir arbeiteten viel im Gemüsegarten, versorgten die Haustiere, lebten bescheiden – kein Telefon, Wasser nur aus einem dünnen Rinnsal in freier Natur und einzige Stromquelle war eine solarbetriebene Autobatterie – und der frühen Jahreszeit angepasst, sehr genügsam in Sachen Ernährung. Burger zum Vorbild, hielten wir es mit zwei Mahlzeiten pro Tag zu Mittag und zu Abend. Obst und Nüsse, ich erinnere mich an besonders leckeren Riesenmandeln, etwas Gemüse, Salat und Sprossen, Eiern und schrumpelige, getrocknete Feigen vom Vorjahr. Die kleine Imkerei lieferte Pollen, Drohnenbrut und später zur Schleuderzeit viel Honig. Meine Gastgeber besorgten sich ein- bis zweimal im Monat rohes Fleisch, ich aber konnte und wollte mich damals nicht für ein blutiges Steak begeistern.

Als ich nach rund zehn Wochen wieder Richtung Südtirol aufbrach, fühlte ich mich im Höhenflug, jagte aber meiner Familie bei meiner Rückkehr einen gehörigen Schrecken ein. Ehrlich gesagt, erschrak ich selbst ein wenig vor meinem lange nicht mehr gesehenen Spiegelbild und der Anzeige auf der Waage. Bevor ich nach Portugal gereist war, war ich ein begeisterter Langstreckenläufer mit 67 kg bei 1,78 m, zurück kam ich mit schlappen 52 kg. Ich sah aus, wie ein Drogensüchtiger… und war auch einer! Meine Droge waren Früchte! Obwohl in Portugal eigentlich besser gelernt, sollte ich die nächsten zwei bis drei Jahre weitgehend vegan und überaus früchtelastig essen. Nur wenige Nüsse und noch weniger Gemüse oder Salat bereicherten meinen einseitigen Speiseplan. Ohne Frage eine Mangeldiät und doch denke ich noch heute etwas wehmütig an jene Zeit zurück. Eine ausgewogene Ernährung erdet, ist unabdingbar, um auf lange Frist zu funktionieren, eine reine Früchteernährung lässt einen fliegen.

Als mein erster Winter mit Rohkosternährung ins Land zog, fror ich, wie noch nie zuvor. In schierer Verzweiflung floh ich kurzerhand nach Brasilien. Die in der Not geborene Entscheidung, erwies sich als genial. Unter der nie getrübten Tropensonne, in der Hängematte schaukelnd und bestens mit Mangos und Co. in noch nie gekannten Geschmacksexplosionen versorgt, ließ es sich wunderbar über das klimatisch und menschlich kalte Europa nachdenken oder über das unbefriedigende Verhältnis von Arbeitszeit zur Freizeit. Ich erschuf mir mein ganz persönliches Hängemattenparadies, war ganz Ich. Trotz all der neu gewonnen Lebensphilosophie konnte ich jedoch nicht ganz aus meiner Haut und flog in Sommer zurück in die alte Welt und so etwas ähnlichem wie Arbeit.

Es war in meinem zweiten Winterhalbjahr im Nordosten Brasiliens, als das Verlangen nach Eiweiß so stark wurde, dass ich mir auf dem Markt von einer blutverschmierten Holzbank ein beliebiges Stück Fleisch kaufte, damit um die nächste Ecke flitzte und es gierig hinunterschlang. Eine äußerst unappetitliche Angelegenheit, da lässt sich nichts schönreden, aber wenn man muss, dann muss man. Deshalb beugte ich von da an vor und aß ungefähr einmal im Monat Fleisch in Form von magerem Tartar oder Carpaccio, oder Fisch, damals meist als in Zitrone mariniertes Kabeljaufilet.

Rohkost ist gefährlich! 1994 fiel ich beim Mittagessen vom Kirschbaum und zog mir einen Beckenbruch zu. Autsch! Naja, zum Glück heilt so ein Beckenbruch in vier bis sechs Wochen nur durch Liegen und das ganz ohne Ärzte oder Medizin. Ich hatte damals große Gelüste auf Bananen und aß sie in rauen Mengen. Als ich wieder auf die Beine kam, hatte ich einige Kilo zugenommen und wog das erste Mal seit Beginn mit der Rohkost wieder an die 60 Kilogramm. Ein Gewicht, welches ich die folgenden drei Jahre beibehalten sollte.

Ich verbrachte diese vorwiegend in der Toskana, wo ich eine Ferienwohnungsanlage betreute. Das Anwesen mitten in den Weinbergen des Chiantis mit vielen herrenlosen Feigenbäumen im Umland, war vom Frühsommer bis spät in den Herbst hinein ein Traum für Rohköstler. Gegen Ende meiner dritten Saison hatte mein Bruder einen schweren Motorradunfall. Ich wurde nach Hause gerufen, um ihn an der Tankstelle und Kleinwerkstatt zu vertreten. Ich kam dem Hilferuf nach und unterbrach meine bis dahin rund 6 Jahre andauernde reine Rohkosternährung. Ohne es auch nur zu versuchen, schien mir meine damals praktizierte Ernährungsform mit immer noch nahezu 90% Früchten nicht ausreichend, um im Betrieb zehn Stunden lang meinen Mann zu stehen.

Ich aß weiterhin vorwiegend roh, nahm aber täglich auch eine gekochte Mahlzeit zu mir. Ich definiere einen Rohköstler als jemanden der sich ausschließlich roh ernährt und es sollte bei mir eineinhalb Jahre dauern, bis ich wieder zu einem solchen wurde. Nachdem ich im Familienbetrieb wieder entbehrlich geworden bin, probierte ich mich nämlich erst noch eine Saison an der toskanischen Küche und auf meiner Winterreise, an jener von Java und Bali. Geläutert durch das schwindende Wohlgefühl kehrte ich dann 1998 wieder zur Rohkost zurück.

Noch im Herbst desselben Jahres passierte mir ein weiterer Rohkostunfall, diesmal in Form einer Pilzvergiftung. Dieser fällt wohl unter die Rubrik „Ausnahmen bestätigen die Regel“, denn im Normalfall ist der Geschmackssinn mit Rohkost fast so zuverlässig, wie eine Pilzfibel. Mir ist über all die Jahre auch nichts annähernd Vergleichbaren passiert, weder mit Pilzen, die seit jenem Zwischenfall in meiner Beliebtheitsskala weit abgerutscht sind, noch mit anderen Rohkostexperimenten. Vielmehr kann ich für mich bestätigen, dass der Instinkt mit Rohkost sehr gut funktioniert, d.h. alles was gut schmeckt, ist auch gut für den Körper und alles was nicht schmeckt, schadet dem Körper. Bis eben auf diesen einen Fall.

Ich konnte den Pilz im Nachhinein nicht eindeutig zuordnen, es handelte sich vermutlich um einen Verwandten des Steinpilzes, vielleicht war es ein Satanspilz. Das Exemplar war recht groß, weil schon etwas älter und es waren wohl an die 150 Gramm, die ich da verspeiste. Eine Stunde nach Verzehr setzte starker Durchfall und Erbrechen ein. Ich ließ mich überreden, mich ins Krankenhaus fahren zu lassen und rechnete damit, dass man mir dort den Magen auspumpen würde. In der Klinik in Siena hieß es jedoch, dass man so was nicht mehr macht. Widerwillig, aber ohne nennenswerten Widerstand - dafür ging es mir in diesem Moment einfach zu schlecht - ließ ich mich an den Tropf hängen.

Oje, oral oder gar intravenöse verabreichte Medizin ist für einen Rohköstler das absolute Horrorszenario! Wenn ich krank bin, vertraue ich den Selbstheilungskräften und verordne mir Bettruhe und Schlaf statt Medikamente. Pilzvergiftungen können ohne Zweifel böse enden, zum Glück war meine letztendlich nicht so schlimm. Als es mir nach zwei bis drei Tagen besser ging, entließ ich mich aus dem Krankenhaus. Die Amylase- und Lipase-Werte der Bauchspeicheldrüse spielten noch etwas verrückt und die Ärzte hätten gerne noch ein paar Tage an mir herumgedoktert, aber wie gesagt, ich bin ein schlechter Kunde der Pharmaindustrie.

Knapp acht Jahre nach Portugal begegnete ich zum ersten Mal wieder anderen Rohköstlern. Ich hatte nie nach unserer Spezies gesucht. Das wäre in der damaligen Internetsteinzeit auch schwierig gewesen. Doch dort in Sumatra und einem besonders guten Futterplatz war es gar kein so bemerkenswerter Zufall, dass ich Bekanntschaft mit drei italienischen Rohköstlern machte. Sie waren Vegan-Rohköstler und für mich war es natürlich sehr interessant, mich mit ihnen auszutauschen. Die drei waren schon öfters in der Region unterwegs gewesen. Der Ältere von ihnen lebte in jener Zeit sogar ganzjährig in Sumatra. Sie wussten von anderen Rohköstlern in der Gegend, einer Gruppe Franzosen und den ein oder anderen Deutschen und Österreicher, aus Zeitgründen kam ich aber mit niemanden von ihnen zusammen. Der Kontakt zur Frau in der Dreiergruppe blieb durch Telefonate aufrecht. Zwei Jahre später wurde sie meine Freundin.

Von 2000 bis 2005 hielt ich mich fast ausschließlich in den Rohkostparadiesen Thailand und Sumatra auf. Wenn ein Urlaub etwas länger geht, taucht schon mal die Frage auf, wie man so was finanziert. Nun, damals waren Thailand und vor allem Indonesien unschlagbar günstig und ich bin nicht anspruchsvoll. Eine hübsche Bleibe am Strand oder in schöner Landschaft und ein gut erreichbarer Markt reichten mir eigentlich schon. Beim Reisen verzichtete ich auf teure Inlandsflüge oder Taxis und die Kleidung ist in den Tropen bekanntlich auch kein Kostenfaktor. Ich setzte mir ein Tagesbudget von zehn Euro und dieses konnte ich mit Ersparnissen und etwas Börsenglück abdecken.

Mein damaliges Grundnahrungsmittel war Ananas. Je nach Größe kam ich auf drei bis fünf Stück am Tag. Zur Saison gönnte ich mir natürlich reichlich Durian und habe auch all die andere leckeren Tropenfrüchte verdrückte ich in beeindruckenden Mengen. Wäre ja schade, wenn nicht! Bei so viel Obst kann man übrigens selbst bei regelmäßig über 30 Grad und hoher Luftfeuchtigkeit auf zusätzliche Flüssigkeitszufuhr verzichten. Die Tagesempfehlung von zwei Litern Wasser reichte bei mir fürs ganze Jahr.

Mein körperliches Wohlbefinden wuchs stetig. 2003 fing ich an, regelmäßig Kraft- und Lauftraining zu betreiben, vor allem um den Skeptikern, aber auch mir selbst zu beweisen, dass das mit Rohkost möglich ist. Durian als Energiequelle und regelmäßiger Fischverzehr (meist als Sardellentartar) als Baustoff und schafften dafür gute Rahmenbedingungen. Ich war mit dem Ergebnis zufrieden.

Der Zustand meiner Freundin entwickelte sich dagegen in die andere Richtung. Nach wie vor vegan und roh, hatte sie zunehmend mit gesundheitlichen Problemen und Engpässen zu kämpfen. Sie ließ sich von mir leider nicht dazu überreden tierische Rohkost oder auch eiweißreiche Kochkost in ihrem Speiseplan einzubauen. Ich respektiere den ethischen Ansatz von Veganern, aber unsere Beziehung litt sehr unter ihrer körperlichen Schwäche und mentalen Aussetzern. So trennte ich mich schließlich von ihr.

Später lernte ich beim Joggen eine thailändische Frau kennen. Die buddhistische Trauungszeremonie fand Ende 2004 statt. Als der Tsunami Südostasien heimsucht, hatten wir den Flitterwochenstrand glücklicherweise bereits mit Thailands Bergen im Norden getauscht. Wie das mit Ehefrauen so ist, befand sie, dass es jetzt mit dem süßen Nichtstun zu Ende ist. Wir gingen nach Südtirol, wo ich seither in verschiedenen Hotels gearbeitet habe bzw. arbeite. Kurze Zeit lebten wir in meinem Heimatdorf, seit 2007 in Meran, wo der Kulturschock für meine Frau nicht ganz so dramatisch ist. 2006 kam unsere erste, 2008 die zweite Tochter und 2012 unser Sohn auf die Welt.

Meine Familie hat nicht den Rohkostweg eingeschlagen. Meine Frau macht zwischendurch mal ein paar Tage eine Obst-Gemüse-Diät, wenn sie ein paar Pfunde abnehmen will oder sie mit ihrem Hautbild nicht zufrieden ist, liebt aber zu sehr die thailändische Küche, als dass sie darauf verzichten möchte. Auch meine Kinder können essen was sie wollen, wobei ich selbstredend versuche, sie für die Gefahren von besonders ungesunder Kost zu sensibilisieren. Die Freude am Essen ich für mich von zentraler Bedeutung und obwohl ich Rohkost für die beste Ernährungsform halte, gibt es wie oben geschildert, auch Beispiele, wie sich durch falsche Rohkost der gesundheitliche Nutzen schnell ins Gegenteil umkehren kann. Vielleicht wollen meine Kinder später einmal aus freien Stücken ihr Essverhalten mehr Richtung Vater ändern, aber das ist mir nicht wichtig.

In meinem Bekanntenkreis spielt meine Ernährungsweise keine Rolle und ich selbst unterscheide bei Freunden und Bekannten auch nicht zwischen Koch- und Rohköstler. Einen „Rohköstler“ als Teil einer homogenen Gruppe zu definieren wäre ohnehin ein Unding. Praktisch jeder Rohköstler, den ich kenne, hat seine ganz persönliche Ernährungsform gefunden. Der eine legt die Betonung auf Gemüse, der andere konzentriert sich eher auf tierisches Eiweiß, manche wollen mit komplizierten Rezepten Abwechslung und Vielfalt in die Rohkost bringen, andere schwören hingegen auf Monokost, als nur ein Lebensmittel pro Mahlzeit. Und für eine Mehrzahl ist es nur ein mehr oder weniger kurzer Versuch.

Für mich spielen Früchte immer noch eine sehr zentrale Rolle und wie ich bereits durchblicken ließ, ist für mich entscheidend, ob ich mich zu 100% roh ernähre oder nur großteils. In den ersten ein bis zwei Jahren nach meiner Hochzeit habe ich meine reine Rohkostzeit aus Kompromissbereitschaft ein zweites Mal unterbrochen. Die Ausnahmen waren viel seltener als bei der ersten Unterbrechung, aber schon eine gekochte Mahlzeit pro Woche genügte, um den Unterschied zu spüren. Ich denke, Rohkost ist für die Verdauung in etwa das, was saubere Luft für die Lungen ist. Für einen Raucher ist es ein großer Fortschritt, wenn er statt zwei Päckchen am Tag nur noch eine Handvoll Zigaretten raucht, aber er ist damit immer noch ein Raucher. Und für die Verdauung reicht schon wenig Kochkost, um die Vorteile der Rohkost entscheidend einzuschränken.

Mittlerweile bin ich wieder knapp 15 Jahre clean und auch wenn es in Europa in Sachen Rohkost in den kalten Monaten relativ langweilig werden kann, wenn man finanziell nicht über die Stränge schlagen will, kann ich mir nicht vorstellen, irgendwann wieder von der Rohkost abzukommen. Für mich ist sie perfekt!